Sonntag, 27. Januar 2013

Wann ist genug genug? - Kopie vom 5.4.2012

Ich stand mal wieder am Fenster und dachte lange nach. Ich habe ein Jahrzehnt von meinem Gehalt alles angekauft, was ich jemals haben wollte. Und nun will ich alles, was ich nicht mehr brauche, loswerden. Ein Unterfangen, das sich aufgrund der Fülle und Auktionslängen einer Woche auf Ebay über ein Jahr erstreckt.
Damals, so sinnierte ich, hatte ich fast nichts, außer im Wesentlichen einem GameBoy, SNES, Lego und ein paar Kassetten. Der Rest zum Überleben lag in der Wohnung meiner Eltern. Für SNES konnte ich mir keine Spiele leisten. So hatte ich nur zwei Dutzend GameBoy-Spiele, mit denen ich mich jahrelang nonstop beschäftigen konnte. Bekam ich später auch ein paar CDs, liefen die monatelang. Man kennt die Entwicklung sicher, die ich jetzt beschreibe. Man wird mit dem Alter begeisterungsunfähiger, gewiss. Doch ich sehe da noch mehr hinter. Als Azubi konnte ich mir einige aus der Kindheit heiss ersehnte Spieleklassiker nachkaufen, die mich dann aber nicht mehr so lange an der Konsole hielten. Gott sei Dank, denn besonders erstrebenswert finde ich es als Erwachsener nicht mehr, seine Lebenszeit mit ein paar primitiven digitalen Spielen zu verbringen. Und nun mit dem Internet habe ich die Möglichkeit, ALLE Klassiker als Emulatoren zu spielen. Anfangs glich das dem Schlaraffenland, heute mehr als Schrottplatz. Kaum hatte ich Spiel A mal angespielt, war mein Verlangen danach, Spiel B zu spielen, größer. Und so weiter.

So ging es aber nicht nur bei Spieleoldtimern. So geht es bei allem, irgendwie. Mit 50 Gigabyte an Musik wusste ich immer, was ich hören wollte. Heute, mit 200 GB, weiß ich es schon nicht mehr (und über 200 GB werden viele sicherlich lachen!). Wenn man das nicht mehr weiß, liegt es nahe, sich mit dem Neuesten, was man in die Finger bekommt, zu beschäftigen. Also alles, was man noch nicht kennt, bis wieder etwas Neues greifbar wird. Ich stelle daraus fest, dass Überfluss ein wenig oberflächlich, halbherzig und schwerer begeisterungsfähig macht - tendenziell. 


Ich glaube, dass als Folge der Wachstumsprämisse unserer westlichen Gesellschaft das Angebot an Medien, Kultur und Waren zu einem Überangebot heranwuchs, durch das wir selber keine persönlichen Befriedigungs-/Sättigungsgrenze mehr kennen. (Wir sind uns nicht mal im Klaren, dass als Folge unseres Systems vorab knapp die Hälfte aller Lebensmittel für den Müll einkalkuliert wird). Natürlich wird auch ohne ein verlockendes Überangebot alles irgendwann uninteressant und will ersetzt werden. In den 80ern konnten "wir" uns auch für viel mehr begeistern als heute, weil man vieles auch noch nicht kannte. Da konnte man, als Kabelfernsehen neu war, stundenlang Teleshopping gucken, während da heute nur noch jeder die Nase rümpft.
Ich glaube aber, dass wir durch den Reiz der Überangebote zum Maximalismus verleitet werden. Kaum hat man das Eine, kommt ein Jahr später was Neues, das erstrebenswerter erscheint und den Stellenwert des Alten verdrängt.
In manchen Dingen ist der Konsum allein der Sinn des Strebens geworden. Wir leben und definieren uns hier und da bloß über den Konsum - so las ich es aus der soziologischen Lifystyle-Forschung. Wie oft werden von Jugendlichen Accessoires gekauft, nur um für ein Internetprofilfoto am eigenen Leib wie eine Trophäe fotografiert zu werden. Ich finde es sehr interessant, sich absolut selbstehrlich zu fragen, wann man eigentlich genug hat und mit seinen gegenwärtigen Besitztümern für einen längeren Zeitabschnitt konsistent glücklich leben kann.


Ob ein nach den Bedürfnissen orientierter Minimalismus überhaupt eine bessere Alternative ist, will ich gar nicht behaupten. Ich kenne spontan drei Beispiele aus meinem Umkreis. Ein Kollege hat sich eine horrend teure Snowboard-Ausrüstung gekauft und es nur ein Mal im Urlaub in den letzten 10 Jahren ausprobiert, eh der neueste 3D-Fernseher seinen vorherigen LED-TV ersetzte. Ein anderer kaufte sich ein arschteures Rennrad und hat es auch nur einmal benutzt. Seine Hoffnung lag darin, Anschluss bei anderen Kollegen zu finden (Besitztümer für Teilhabe an der Gesellschaft?).
Ein Freund kaufte mir damals meine PS2 ab, die jahrelang unberührt verstaubte, bis er sich nun die PS3 kaufte, die nun ebenfalls jungfräulich in seinem Schrank verenden wird. Auch da lag die Motivation sichtlich nur in der Hoffnung, Kontakt und Anschluss zu halten/schaffen. Brauchen tut er sie aber nicht. Freilich gibt es auch viele Gegenbeispiele wie meine Eltern, die sich gegen jede neue Investition sträuben und alle Geräte bis zur äußersten Lebensdauer ausreizen.

Doch in allen drei Beispielen erkenne ich die Möglichkeit, sich in diesem schnelllebigen Materialismus in verschiedenen Bereichen ausprobieren zu können und seinen Horizont über materielle Dinge zu erweitern - Argument pro.
Argument Contra: wird man bei der Qual der Wahl und den ständig neuen Dingen überhaupt mal irgendwo für eine gewisse Lebensphase ankommen (sagen wir mal für einige Jahre oder Jahrzehnt)? Und das befriedigende Gefühl verspüren können, dauerhaft genug zu haben und nichts mehr an mittel bis großen Investitionen zu brauchen? Und sich dafür an den kleinen Dingen des Alltags erfreuen können?



Special-Extended-Bonusmaterial
Ich muss an dieser Stelle an einen meiner Lieblingsfilme denken. Zitat von "39,90" zu Beginn:


"Man kann alles kaufen: die Liebe, die Kunst, den Planten Erde, Sie, und mich. Vor allem mich. Der Mensch ist ein Produkt wie jedes andere. Mit einem Verfallsdatum. Ich bin Werbefachmann. Ich bin der, der Sie von Dingen träumen lässt, die es für Sie niemals geben wird: ein ständig blauer Himmel, makellose Mädchen, perfektes Glück - retuschiert mit Photoshop. Sie glauben, ich würde die Welt verschönern? Falsch. Ich mache sie kaputt. Alles ist nur provisorisch: die Liebe, die Kunst, der Planet Erde, Sie, und ich. Vor allem ich.
Ich bin eigentlich eher ein Stück Scheiße. Ein moderner Held eben.
Meine Hosen finde ich in der Vogue oder Vanity Fair, einen Monat vor Erscheinen. Meine Hemden kommen aus New York, Tokyo, Bombay, Guéthary. Tut mir leid, dass ich Ihnen so weit voraus bin, aber ich bin nun mal der, der heute entscheidet, was Sie morgen wollen. Ich mache Sie süchtig nach Neuem. Und das Schöne am Neuen ist, dass es nie lange neu bleibt. Sie sollten anfangen, mich zu hassen. Bevor Sie die Zeit hassen, die mich hervorgebracht hat."

"Übrigens, mein Name ist Octave, und meine Kleidung ist von APC. Mein Job ist es, Sie für 75000 Franc im Monat zu manipulieren. Wenn Sie genug Geld zusammengespart haben, um sich endlich Ihr Traumauto kaufen zu können, habe ich längst dafür gesorgt, dass es nicht mehr angesagt ist. Ich sorge für Ihre Frustration. Ich bin es, der Ihren Geist penetriert und in Ihrer rechten Gehirnhälfte zum Höhepunkt kommt. Sie haben kein eigenes Verlangen mehr. Ich zwinge Ihnen meines auf. Kein anderer verantwortungsloser Idiot hatte in den letzten zweitausend Jahren so viel Macht wie ich."

Zitat von 39,90 gegen Ende:
"Alles ist käuflich: die Liebe, die Kunst, der Planet Erde, Sie, ich. Ich schreibe dieses Buch, um gefeuert zu werden. Wenn ich selbst gehe, gibt es kein Geld. Ich muss den Ast absägen, auf dem mein Komfort sitzt. Meine Freiheit heißt Arbeitslosenversicherung. Ich werde lieber von einer Firma entlassen, als vom Leben. DENN ICH HABE ANGST. Um mich herum sterben die Kollegen wie die Fliegen: Herzschlag im Schwimmbad, Myokardinfarkt als Legende für eine Überdosis Kokain, Absturz mit dem Privatjet, Karambolage mit dem Kabriolett. (…) Alles ist vorläufig, alles ist käuflich. Der Mensch ist eine Ware wie alle anderen, er hat ein Verfallsdatum. Deshalb bin ich entschlossen, mit 33 abzutreten. Offenbar das ideale Alter für eine Wiederauferstehung. (…) Ich heiße Octave und kaufe meine Klamotten bei APC. Ich bin Werber: ja, ein Weltverschmutzer. Ich bin der Typ, der Ihnen Scheiße verkauft. Der Sie von Sachen träumen lässt, die Sie nie haben werden. (…) In meinem Metier will keiner Ihr Glück, denn glückliche Menschen konsumieren nicht."


Persönliches Fazit aus allem:
Wer weniger Möglichkeiten hat, hat auch nicht die Qual der Wahl.
Besteht ein Angebot, entsteht auch ein Interesse daran. Besteht das Angebot nicht, ist auch nicht unbedingt ein Interesse daran vorhanden. Ist es umgekehrt, also will man etwas, wo noch eine Marktlücke existiert und will man die Dinge nicht, die dafür existieren, kann man Tendenzen einer autodeterministischen Natur darin sehen. Oder, aus Sicht der Mitläufer, einen eigenwilligen Trotzkopf. Dieser weiß jedenfalls, was er will und was nicht. So ergeht es mir derzeit, wenn ich bei GameStop bin und man mir immer diese modernen Spiele wie RE6, Mass Effect und Skyrim andrehen will und mich dann völlig verständnislos anguckt, wenn ich daran kein Interesse habe. Ich habe derzeit viel mehr Motivation dafür, die Welt zu verändern oder etwas Großes auf die Beine zu stellen. Also ab zurück ins Weltherrscher-Labor.





 Update 1:

Ich habe auch gleich einen Nachschlag mitgebracht, der recht gut hierzu passt. Ein sehr interessanter Vortrag, der mal im Radio morgens lief. Man kann ihn sich je nach Belieben auf folgendem Link anhören oder als PDF runterladen (geht 30-40 Minuten lang). Kann ich jedem nur empfehlen!!

> Wohlstand ohne Wachstum

Der Autor spricht vierschiedene Bereiche eher oberflächlich und philosophisch an. Ich könnte jeden Aspekt noch weiter vertiefen. Ich will hier nur zwischen qualitativen und quantitativen Wachstum unterscheiden. Qualitativ heißt, dass Technologien besser, effizienter, umweltfreundlicher, langlebiger werden und Produkte und Lebensstil gesünder, nachhaltiger, etc. Quantitativ heißt grob gesagt immer mehr, mehr, mehr (BIP, Produktionsraten, Verkaufszahlen, etc.). Und das geht auch aus wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht nicht lange gut.
Vor allen Dingen geht mit dieser Art des Wachstums zwangsläufig auch eine räumliche Expansion einher. Da habe ich schon bei einem gespielten Bauprojekt in der Uni gefragt: "Welche Natur wollen wir mit niedrigen Emissionen schützen, wenn hier und auch anderswo in der Welt bald alles zugebaut ist? Es sollen alle übrigen Flächen bebaut werden und wir betreiben eine Art modernen Ablasshandel mit schönfärbenden Effizienzzahlen mit Solar und Regenzisternen...".
Einige Menschen, die gerne in Städten leben, scheint es nicht zu stören. Die schaffen es, die globalen Folgen gekonnt mit ihrer Lebensweise zu verdrängen. Ich nicht.  




Update 2:

"Es gibt Menschen, die arbeiten jahrelang auf ein Ziel hin und wenn sie es erreicht haben, sind sie trotzdem nicht glücklich. Ich glaube nicht, dass die Menschheit jemals "satt" wird."
Das ist wohl war. Denn man braucht immer ein Ziel oder irgendetwas, das seinem Dasein einen Sinn verschafft. Ich kenne aber auch viele, für die dies der bloße Hedonismus im Leben ist. Im Klartext: auf der Arbeit so wenig wie möglich tun, sich beruflich und privat bloß nicht weiterentwickeln, meist vor dem PC hocken (Call of Duty oder WoW mit den Kollegen) und dafür immer das neueste an Autos, Iphone und Lifestyle-Gedöns.

Mir wurde das schnell zu schnöde und dem ganzen Beruf (durch Technisierung zum Fließbandjob verkommen) wurde ich überdrüßig. Deshalb schreibe ich jetzt ein neues Lebenskapitel - tabularasa!
Ich vergesse nie, wie stolz ich damals auf meinen ersten Lexus war. Erst ein exklusiver Nobelschlitten und zwei Jahre später wirkte die Karre gegenüber den Faceliftings neuerer Autos wie ein stinknormaler Mittelklassewagen. Die Extraausstattung, einst Luxus (Navisystem, Sitzheizung, Klimaautomatik, etc. pp), war dann bald schon Standard und verlor an Verkaufswert. Kaum gewöhnte ich mich an das aktuelle Auto, begehrte ich exklusivere Autos wie Porsche.

Zum Glück gibt es auch andere Wege, sich Ziele zu setzen und ein stetiges Mehr/Neues zu finden, als über den Konsum. Beispielsweise mit Wissen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Erlebnissen, Kultur, etc. Wohlstand macht uns schließlich nicht besser, sondern eher träge, verweichlicht und inkompetent - mMn fern das Prinzip von Dekadenz.
Wenn sich nur noch der Materialismus als einziger Sinn des Lebens anbieten würde, um "satt" zu werden, dann würde unser Planet in viel näherer Zukunft so aussehen wie in dem Film Wall-E. Dieses alternative Denken wird leider vor allem durch die Medien und Werbung in unserer Alltagskultur verdrängt.

Das wissen die meisten zwar, doch richtig begreifen nur wenige. Ich muss auch zugeben, dass es nicht leicht ist, sich aufzuraffen und neue Lebensinhalte (Hobbies z.B. - aber nicht mit virtueller Realitätsflucht) für sich zu entdecken. Ich habe mir übrigens eine To-Do-Liste verfasst, in der auch Hobby-Ideen zum Ausprobieren stehen. 



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