"Sozialer Druck", das Wort liegt mir in letzter Zeit wie ein neuer Stein
im Kopf. Weil ich das, was es beschreibt, schon viel länger bewusst
wahrnehme als das Wort selbst. Es ist das, was uns dazu antreibt, Dinge
zu tun, die wir sonst nicht tun würden, wenn sie in unserem Umfeld
niemand anderes täte. Es ist das, was uns in unserem Treiben tief im
Inneren Hoffen macht, damit an der Gesellschaft mehr Teilhabe zu
erlangen. So würde ich es mal salopp ausdrücken. Ein völlig normaler,
soziologischer Einflussfaktor, den es immer schon gab.
Doch die menschliche Kultur unterlag ja schon immer Veränderungen, die
oft mit Fortschritt einherging. Der Einfluss der Medien in den letzten
Jahrzehnten auf unsere Kultur (und auch auf Wirtschaft, Politik, etc.)
ist unvorstellbar. Die Möglichkeiten sind gegenüber den vorherigen
Jahrzehnten unfassbar gewachsen. Auf der anderen Seite ist alles
irgendwie hektischer geworden.
Vor Jahren schrieb ich schon Erkenntnisse über diesen "Trend" darüber zu klagen,
wie wenig Zeit man doch habe (das kennt sicher jeder aus irgendeinem
Smalltalk). Ich kann nach wie vor nicht nachvollziehen, wie man so etwas
behaupten kann, wenn man seine Freizeit selber so verbaut. Denn
Musikschule, Sportvereine, Freundestreffen, sonstige Unternehmungen SIND
doch Freizeit. Jeder Mensch hat im Grunde gleich viel Zeit: 12 Stunden
am Tag, 24 Tage die Woche, 7 Monate im Jahr... oder so ähnlich. Wie
wir diese Zeit nutzen, liegt doch auch wesentlich an uns. Das hat auch
Meister Hora aus Momo verstanden. Mehr Berechtigung in diesem Klagen
verschafft einem dagegen der Zeitmangel durch Beruf, Studium oder
dergleichen.
Warum um alles in der Welt müssen wir uns immer mehr Vorhaben im Privatleben
aufbürden? Für Konzerte durch ein ganzes Land kutschieren (oder gar in
ein anderes Land fliegen und am selben Tag zurück), Musikschule,
Malschule, Sportvereine, Fremdsprachenkurse, Freunde, Internet, Gilden,
Musik, Filme, Bücher, Konsolen, etc...
Dahingehend hat sich die Gesellschaft einfach verändert; To-Do-Listen
immer voller packen, so dass für die richtigen Freunde oder sich selbst
kaum Zeit bleibt, wie jüngst bei meinem Freund. Er ist
selbstständig, hat privat noch Radiosendungen, nach Feierabend um 20 Uhr
noch Französischkurse, Sportverein und immer mit Freunden weg. Und
trotzdem will er sich noch mehr Dinge suchen, mit denen er mehr
Anschluss bekommt, obwohl er keine Zeit mehr hat.
Hinter dieser Tendenz, die mich gerade irgendwie an Momo erinnert, sehe
ich eben genau dieses Wort: "sozialer Druck". Und ich merke seit einiger
Zeit, welchen Einfluss vor allem Facebook auf die Menschen in diesem
Zusammenhang hat.
Facebook ist wie ein Verführer, das vielen, bestimmten Menschen den
Eindruck vermittelt, nicht genug integriert zu sein und nicht genügend
Aufmerksamkeit zu bekommen. In der Regel sehen wir immer dann das zur
Schau gestellte Reallife der Anderen, wenn wir just alleine sind und an
eben solchen Dingen keine Teilhabe haben (können/wollen). Wir sehen
immer das, was wir nicht haben und sehen alsdann in vielen Dingen die
Möglichkeit, uns damit irgendwie anschließen zu können (wenn bloß um
mitzureden oder uptodate zu sein). Dem einen oder anderen mag es
obendrein tief im Herzen bekümmern, dass Andere so viele "Freunde"
haben, so viele Kommentare bekommen, einfach mehr Aufmerksamkeit und
Integration genießen können. Facebook ist potentiell auch ein Neid-Faktor,
den es damals zusammen mit allen anderen Medien, die uns und unsere
Informationen derart umfassend verbinden, nicht gab und daher auch kalt
ließen. Zugleich lassen uns diese virtuellen Schaukästen oft im Dunkeln
darüber, wie es wirklich dahinter aussieht, wie viele der Kontakte auch
im Reallife bestehen oder wie treu die Internetfreundin tatsächlich ist
oder ob sie nicht mit anderen ihrer Freunde dort Dinge austauscht, von
denen man nichts mitbekommt. Auch den Paranoia-Einfluss stellte ich oft fest - doch das führt in ein anderes Thema.
Selbstredend ist sozialer Druck auch ohne Internet vorhanden, wenn man z.B. ganz alleine lebt. Sich auf gar nichts
einzulassen soll nicht meine vorgestellte Alternative sein. Auch ich
habe mir viele private Ziele gesetzt, sehe mich aber auch darin durch
das Internetz als ein fester, neuer Bestandteil meines Alltags
wesentlich beeinflusst. Das ist ja völlig normal.
So normal, dass man darüber normalerweise gar nicht mehr nachdenkt - bis
enge Freunde es nicht mehr schaffen, einem vernünftige Antworten zu
schreiben, keine Zeit mehr haben und gesundheitlich Probleme bekommen.
So erstrebenswert und lobenswert unsere Vorhaben auch sein mögen, so
sollten wir uns spätestens dann daran besinnen und uns Muße für eine
Pfeife oder einen Tee auf der Terrasse oder dem eigenen Sofa nehmen. Für
ein gesundes Maß an Unproduktivität sollte man sich eigentlich nicht
schämen müssen, egal was Andere alles vorweisen können.
Update:
> Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral
> Facebook macht unzufrieden
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