Sonntag, 27. Januar 2013

Bildungsinflation - Kopie von ca. 2006


Das hier ist mein erster längerer Beitrag, den man als Blogtext, ursprünglich jedoch als Tagebuch, sehen könnte. Teils in Ansichten seither überholt und die Entwicklung an sich - während damals noch angezweifelt - für so ziemlich jeden nichts neues. Ein alter Hut quasi, und in der Drastik noch größer geworden - wie prophezeit. Seither hätte ich unzählige Zeitungsartikel und TV-Berichte zu dem Thema sammeln können.

Es wird Zeit, einige Beobachtung zu einem brisanten Thema publik zu machen, das schon seit geraumer Zeit einige Schlagzeilen von Medien säumt: Die Entwicklung von Trends bei Schulabschlüssen.
Schon seit Langem ist mir klar, dass diese Entwicklung nach oben geht. Zu Unrecht habe ich daher öfter mal geflucht, dass die Jugend immer dümmer wird. Ich nenne vorab mal ein paar Argumente, die das Thema betreffen, woraus sich dann jeder selber ein Bild der Lage machen darf:


  • Damals hieß Hauptschule noch Volksschule und war vom Ansehen her noch normal, Durchschnitt. Allgemein waren die Menschen erheblich pragmatischer als die Mehrheit heute. Man merkt es besonders an den 9mal-Klugen Nachfolgern in Führungspositionen diverser Betriebe und Berufe. Man kann nur aus großer Erfahrung dabei sprechen und verstehen, was dabei herauskommt, wenn unerfahrene Studenten versuchen, ihr erlerntes Theoriewissen ohne Erfahrungen auf dem Gebiet anzuwenden. 
  • In den letzten paar Jahren gingen die Statistik für Gymnasiasten im Vergleich zu Real- und Hauptschülern rapide nach oben. Ein solcher Anstieg ist mir hierbei aus den letzten 40 Jahren nicht bekannt. Sicherlich hängen damit auch konjunkturelle und wirtschaftliche Schwierigkeiten zusammen, die für Bewerber ein höheres Maß an Qualifikation voraussetzen, um unter der Konkurrenz eine Chance zu haben.
  • Laut Radiomeldungen sollen zahlreiche Hauptschulen und auch Realschulen aufgrund Bewerbermangels in den nächsten Jahren geschlossen werden. Mittlerweile halte ich es für möglich, dass es die Hauptschule bald nicht mehr in Deutschland geben wird. Mittlerweile gibt es diese Schulform angeblich nur noch in 10 von 16 Bundesländern! Ich frage mich, ob es noch Sonderschulen gibt.
  • In der modernen Gesellschaft ist das Abitur selbstverständlicher als jeher. Im Anblick auf Statistiken und Zahlen aus anderen Ländern sind solche Bilanzen positiv und zukunftsorientiert. Während unsere Jugend zu 34% das Abitur erreicht, glänzt Finnland mit einer Zahl von sage und schreibe 85% unter den 20-jährigen, wovon 71% studieren gehen. Auch in China ist ein rapider Anstieg der Abiturquote zu verzeichnen; in 10 Jahren soll er bei 40% unter den 20-jährigen liegen. Und die Prozentzahl Studierender liegt in Australien bei 77%, in den USA bei 64% und in Schweden bei 75% (Quelle: P.M.).
  • Wenn man regelmäßig die Zeitungen liest, insbesondere die Lokalteile, merkt man schnell, dass in Artikeln über Schulprojekte, -Ausflügen und Ähnlichem, in der Regel Gymnasien genannt werden, selten auch Realschulen, und ganz selten eine Hauptschule.
  • Ebenso sind zunehmend überfüllte Uni-Vorlesungen aus den Medien zu vernehmen. Laut den Berichten aus Zeitungen haben deutsche Universitäten noch nie so viele Bewerber und aufgenommene Studenten proklamiert wie in diesem und den vergangenen Jahren. Daher sehen es wahrscheinlich die Politiker aktuell als Notwendigkeit, Erspartes in Bildung und Wissenschaft zu investieren (auch wenn es meiner Meinung nach ein Paradox ist, wenn für das Haushaltsloch an allen Ecken und Kanten gespart werden soll). In Anbetracht der Erhöhung der Studiengebühren in mitten aller Steuererhöhungen bezeichne ich diese Entwicklung als dubios.
  • Dass sich die Durchschnittsintelligenz (trotz Faktoren wie Jamba und medialer Unterschichtverblödungen wie Talkshows) von Generation zu Generation erhöht, lag in einer meiner Ansichten. Man bedenke pädagogischen Gesichtspunktes den Einfluss des Internets als größte Informationsquelle. Es bildet nicht nur und fördert das Konzentrationsvermögen, sondern bereitet die Jugend auf wesentliche Arbeitsprozesse in vielen Jobs vor, da in Berufen immer mehr digital vonstatten geht. Daher ist der Einstieg zum Beispiel in den Beruf des völlig hochumworbenen Mediengestalters ein Leichtes für die, die sich privat mit Photoshop auseinandergesetzt haben. Auch sehr nützlich sind für andere Berufe die Kenntnisse über Homepagegestaltung und technischem PC-Umgang und –Knowhow allgemein. Früher nur über beruflichem Wege gewohnt erlernbar, heute braucht die Jugend so was für ihre Freizeit. Der PC als Referenz des Fortschrittes - in jeder erdenklichen Weise.
  • Die Chancen für Akademikerkinder auf ein Abitur sind ungefähr 4 mal so hoch als für Kinder von Arbeiterfamilien. Das ergaben Umfragen und Studien (mitunter auch Pisa).
  • Aktuelle Schlagzeilen vom April 2006 geben diesem Thema neuen Gesprächsstoff und somit wieder Aktualität. Auslöser dieser Schlagzeilenflut um Hauptschulen waren die Hilferufe der Lehrkräfte der Berliner Rütlischule aufgrund der desaströsen Zustände und hohen Gewaltbereitschaft.
    Einige Politiker plädieren dafür, die Hauptschulen ganz abzuschaffen, während andere dafür sind, diese Schulform auszubessern. Ironischerweise sind es auch die Bemühungen, dieses Schulsystem abzuschaffen, welche die Umstände an den Hauptschulen so erschweren. Zitat der Bildungsministerin von Schleswig-Holstein: “Denn Hauptschüler verinnerlichen es, wenn ihre Schule als ‚Restschule’ oder ‚Schrottschule’ bezeichnet wird“. Und zu dieser mehrfach erwähnten Prestige tragen die jungen Leute mehr denn je ihren Teil zu bei. So sind ein Teil der Gewalttaten auch gewissermaßen auf berechtigte Ressentiments zurückzuführen. (Quelle: FTD)
  • Ein weiterer Anhang: Auch in der Politik ist in gewisser Weise ein solcher intellektueller Trend wahrzunehmen. Beispielsweise bei der Akademisierung in Verbänden. So werden z.B. in Gewerkschaften bewährte Arbeiterführer zunehmend durch karrierebewusste Akademiker-Funktionäre abgelöst.
     
  • Allerdings sind die Quoten der Schulabgänger von Hauptschulen von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Bayern hat sehr gute Hauptschulen, die mit der guten Wirtschaft in Verbindung steht und den Hauptschülern gute Perspektiven bietet.
    Nichts desto trotz geht die Anzahl der Schüler auf Hauptschulen nach wie vor zurück, während sie auf Realschulen und Gymnasien zunimmt. Dadurch entwickelt sich die Hauptschule zu einer Restschule, wo sich besonders Migranten und Problemkinder konzentrieren. Man darf gespannt sein, wie sich die Zahlen entwickeln, wenn die Regierung es schafft, eine erfolgreiche Integration von Ausländern in die Wege zu leiten.
  • (Update07): Die Zahl der mit Hauptschulabschluss zu erlernenden Berufe sank von damals 300 auf heute 20 Berufe. Aber wie sich auch zeigt, hat sich meine frühere Prognose von weiter oben fast bewahrheitet: die Debatte über Schließung der Hauptschulen.
  • (Update07): In Foren schrieb ich einem Beitrag über die zunehmenden Hürden bei der Studienauswahl (extrem hohe NC's, weitere Auswahlkriterien, Elitisierung, etc.). Ziel der Bildungspolitiker sei ein Schnitt von 40% an Studierenden unter den Jugendlichen. Die Tertiärisierung ist ein ähnlicher Effekt der Globalisierung. Nur bewirkt der extrem hohe Leistungsstandart, der vorausgesetzt wird, eher das Gegenteil. Nämlich den Rückgang an Studierenden, den man ohnehin schon den Studiengebühren zu verdanken hat. (Zitat bei einem Vorstellungsgespräch bei einem Theater: "Wie, nur einen Schnitt von 1,3?"). Der doppelte Abiturjahrgang ist wohl ein Anlass, den man sich mit diesen Kriterien zu nutzen erhoffte. (Aktuelle Anmerkung: diese Tendenz über Studierendenzahlen ist revidiert und stark ins Gegenteil gegangen!).
  • (Update07): Die Frage unten hat sich damit auch beantwortet. Denn der NC liegt bei sehr vielen Studiengängen unter 2,0. Ein gutes Abitur ist in der Tat nicht mehr so viel wert. Für Jobs sollte man nach einigen Stellenanzeigen 25 Jahre jung sein, studiert haben, 10 Jahre Berufserfahrung haben und unverheiratet und flexibel sein. 

Das soweit zum Kernpunkt des Themas. Hier ein paar Punkte im Anhang:

  • Wird das Abitur damit bald an Wert verlieren? Dann fallen auf die begehrten Studienberufe und Berufe in Führungspositionen mehr Abiturienten als zuvor. Was heißt, dass diese sich aus Konkurrenzgründen mehr einen Mittelstands- oder Handwerksberuf suchen müssen. Ein Beruf an sich ist heutzutage schon wertvoll genug. Wird dadurch die 2-Schichtengesellschaft unterstützt? Brandaktuelles Thema dazu sind die Straßenschlachten in Paris, deren Unterdrückung ich diesen Aufstand in geringer Weise nachvollziehen kann.
  • Abitur ist laut Pisa nicht gleich Abitur. Die genauen Ergebnisse einzelner Bundesländer möchte ich nicht auflisten. Sie zeigt zumindest erhebliche Leistungsunterschiede in bestimmten Hauptfächern zwischen den Ländern. An der Spitze mit mathematischer Kompetenz liegt Bayern, während Bremen im Fach Deutsch ganz unten liegt. Auch NRW liegt im Gesamtdurchschnitt weit unten. Grund dafür sind nicht unbedingt der Anteil an Migranten oder die Messlatte vom Durchschnittsverdienst! Niedersachsen (meine alte Heimat) liegt im deutschen Durchschnitt, trotz (oder gerade wegen) einiger Unterschiede. Zum Beispiel wird dort für gewöhnlich kein Philosophie als Schulfach angeboten. Es gibt (edit: GAB!) eine Orientierungsstufe, in der sich während dieser 5. und 6. Klasse erst entscheidet, ob man die Hauptschule, Realschule oder das Gymnasium besucht. Quelle: Financial Times und verschiedene Zeitungsartikel.
  • Was wird mit denen, die vor einigen Jahren noch von der Hauptschule gegangen sind und heute noch was werden wollen? Ab einem bestimmten Alter (ich sag mal pauschal ab 30), wird das sicher schwer. Außerdem werden durch den rieseigen Internetboom und all dieser genannten Entwicklungen Hauptschüler und unterbegabte Menschen scheinbar zur Minderheit (Aktuell: auch hier revidiere ich die Einschätzung). Dementsprechend reagiert die Jugend typisch untolerant auf diese Minderheit.
  • (Update von 09): Auch wenn viele Zahlen nur Zahlen sind und manches täuscht und die Bedeutung des Handwerks herunterspielt, so ist nicht zu bestreiten, dass aufgrund dieses Trends und der wirtschaftlichen Lage ein größerer Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt herrscht. Abiturienten werden nach und nach besser ausgebildet, erhalten bilinguale Abschlüsse, Auslandserfahrungen, machen integriert in einem neuen Abi (derzeit in Probe) ein soziales Jahr, lernen mehr, etc. und so bleibt man mit seinem alten Abschluss Meilen hinter den jungen, besseren und dynamischeren hinterher - trotz Berufserfahrung (lifelong learning ist gefragt). Mittlerweile sind Abiturienten in Ausbildungsberufen vertreten, in denen sonst nur Realschüler genommen wurden. Die Ansprüche steigen weltweit in der Leistungsgesellschaft (nun zu einem allseits bekannten Schlagwort geworden).

Da kann man sich so einige Gedanken über diese Entwicklung machen - gesellschaftlich wie wirtschaftlich. Was wird aus Realschülern? Werden denen bald nur noch typische Mittelschichtberufe zugeordnet? Wird dadurch der Mustersnob förmlich herangezüchtet?
Aktuelle Anmerkung (2013): hier und da sind kleine Korrekturen aus heutiger Sicht zu sehen. Ich bin längst zu der Meinung gelangt, dass das Abitur großzügiger vergeben wird. Viele der typischen Azubis sitzen nun in Hörsälen.



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