(* MINT = Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik)
Doch warum gibt es dann so viele, die trotz dieser Bedingungen, Auslanderfahrungen, guter Noten um 1,2-Schnitten, jungen Jahren und zig Bewerbungen in genau den unterbesetzten Feldern wie Ingenieurswesen einfach keine Stelle kriegen? Was man real von Alumnis und Bekannten hört, deckt sich einfach nicht mit dem, was man in Büchern und Artikeln liest oder was einem an Unis und Schulen erzählt wird. Dort ist es ja auch einleuchtend, dass einem nur das erzählt wird, was man hören soll. Es würde mich wundern, wenn einem gesagt wird "Als Anwalt werden Sie keine sichere Einsatzmöglichkeit mehr finden und werden als Taxifahrer enden. Also geben Sie sich gar nicht erst die Mühe für die nächsten Klausuren" - die Unis müssen sowieso alle für sich werben. Und der Staat und die Arbeitsagenturen unterstützen sowieso jene Denkweise und Publikationen, die den jungen Leuten Mut zum Studium machen. Es wird einem ein Elitebewusstsein und der rosige Lohn ehrgeiziger Ambitionen suggeriert, da auch tatsächlich viele Stellen für Hochqualifizierte unbesetzt sind. Das hat aber verschiedene Gründe.
Zum einen wandern mehr Deutsche aus als einwandern, weil sie als Hochqualifizierte hier zu wenig verdienen bzw. im Ausland weitaus mehr verdienen. Das sind besonders viele Fachkräfte, für die haufenweise Analphabeten einwandern (von denen einige immerhin "Deutschländer raus" an Wände schmieren können). Dazu ist jüngst wieder die öffentliche Diskussion in den Medien entfacht, zu der sich auch Horst Seehofer kritisch äußerste. Recht hat er zumindest damit, dass man erst mal, bevor man Fachkräfte aus anderen Ländern zur Deckung des Bedarfs hereinholt, die eigenen Kapazitäten mobilisieren und fördern sollte.
Obwohl laut Artikeln Lehrer ohne Ende fehlen, werden sie dennoch an vielen Schulen aus Kostengründen nicht eingestellt. Es ist paradox, dass man trotz des Defizits je nach Region keine Stelle als Lehrer bekommt. Wieder einmal alles eine Frage des Geldes.
Außerdem sind oft die Anforderungen zu hoch. Motto "Suchen Studienabsolventen mit 5 Jahre Praxiserfahrung, Auslandserfahrung, Sprachkenntnissen, ledig und nicht älter als 25." (besonders bei Informatikern sind Ältere oft aus dem Rennen). Und das Ganze dann bei einer 60-Stunden-Woche und einem Lohn, das niedriger ist als das eines Fabrikarbeiters mit 35h/Woche.
Und zu guter letzt fällt mir noch die "Generation Praktika" ein. Ausbeutung gibt es nicht nur bei gering Qualifizierten mit 1-Euro-Jobs. In diesen Teufelskreis kommen angeblich besonders jene, die während ihres Studiums nicht über ihren Tellerrand schauten und sich zu spät um Kontakte und Erfahrung in der Wirtschaft bemühten. So viel zu Einzelheiten.
Ich kann jedem Berufsunerfahrenen daher folgende Tipps geben:
- Seid euch der wahren Vorteile eines Studiums bewusst, seid flexibel und haltet euch, falls ihr im Wunschberuf nichts bekommt, die ganze Palette an Tätigkeitsfeldern eurer Richtung offen, die Ausbildungsberufe nicht so umfassend bieten.
- Mehr als eure Abschlusszeugnisse zählen in der freien Wirtschaft Arbeitszeugnisse. Arbeitgeber haben oft innerhalb ihrer Branchen Kontakt zueinander und informieren sich über Bewerber von anderen Firmen. Schwerer als jeder "Tittenvorteil", den man ja schon im Studium beobachten kann, wiegen Referenzen. Hat man ein Arbeitszeugnis, das einer Eins bis Zwei entspricht, mit einer zusätzlichen Telefonnummer und Namen des vorherigen Chefs, das man als eine Empfehlung sehen kann, hat man einen Joker in der Hand.
- Man muss meinen Erfahrungen nach glaubhaft, natürlich, seriös, interessiert, engagiert, flexibel, belastbar und selbstbewusst genug überkommen. Das ist immer schon mein Vorteil gegenüber all jene gewesen, die durch Vetternwirtschaft und Beziehungen vorankommen.
- Unterhaltet euch während des Studiums und am besten schon vorher mit Alumnis und Berufstätigen jeweiliger Fachrichtungen. Keiner im Studium sagt euch, dass man als Informatiker möglichst unter 30 sein sollte. Oder dass man auch für Jura, Medizin, BWL und andere Fächer mit über 25 nicht mehr zu studieren beginnen braucht.
- Richtet euch nicht zu sehr nach derzeitigem Bedarf an Fachkräften. Das ändert sich alle paar Jahre und wird durch den "Schweinezyklus" verstärkt. In den Neunzigern gab es beispielsweise einen Überschuss an Ingenieuren, was dazu führte, dass sich weniger in dem Bereich einschrieben aus Existenzängsten. Nun haben wir, bedingt auch dadurch, wieder einen Engpass und es werden händeringend Ingenieure gesucht. Es ist ein größerer Ansturm auf entsprechende Schulen zu verzeichnen. Wer weiß, wie es in fünf bis zehn Jahren aussieht...
Ansonsten kann ich wieder mal betonen, dass Ausbildungsberufe sehr viel besser sind als ihr Ruf in den letzten 10 Jahren gemacht wurde. Während man als Maschinenbediener/-führer im richtigen Job mit Nachtschichten beinahe so viel wie ein Politiker verdienen kann, sehe ich Ingenieure in einem Versand und Informatiker als Hilfsarbeiter arbeiten. Während andere, die in ihrem Studienberuf immerhin tätig sind, dabei nicht selten 60 Stunden die Woche arbeiten und ebenso um ihren Job bangen, solche Fabrikarbeiter um ihren Lohn beneiden.
Man muss als Ingenieur auch nicht immer studieren. Wer als Werkzeugmechaniker aufbauend seinen Techniker schafft, wird einem frisch Studierten (je nach Betrieb) ebenso vorgezogen wie jemand, der sich als Hilfskraft in eine Führungsposition eines kleines Unternehmens hochgearbeitet hat. Manchmal sind Zeugnisse und Abschlüsse unumgänglich und zwingend erforderlich, manchmal auch nur Schall und Rauch.
Darüber hinaus gibt es auch viele sehr anspruchsvolle Ausbildungsberufe, die auf gleicher Ebene mit Studienberufen stehen, z.B. im Biologiebereich. Deshalb nichts überstürzen und nicht zu Prestige hinreissen lassen oder studieren um des Studieren willens. Wer trotz all meiner Argumente für und Wider Studium an seinem Plan festhält, dem wünsche ich viel Erfolg! Den brauche auch ich bald, wenn ich sorgfältig Für und Wider abgewogen und zum Jahresende entschieden habe.
Updates:
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Bei dem derzeitigen Medienthema um Fachkräftemangel und "Fachkräfteimport" fällt mir wieder auf, wie unsozial und arbeitgeber-freundlich es in Deutschland über die letzten Jahrzente wurde und noch wird - wieder nach amerikanischem Vorbild? Die Hürden für die Integration sollen gesenkt werden, ausländische Fachkräfte eventuell gezielt angeworben werden. Damit wir später nämlich noch mehr Konkurrenz haben, die sich im Gegensatz zu unseren Fachkräfte-Auswanderern mit niedrigeren Löhnen zufrieden geben. Als ob es nicht schon erleichternd genug für die Wirtschaft ist, dass sich immer mehr Fachkräfte für hohe Qualifikation im Gegensatz zu Azubis selber finanzieren müssen.
- Zur derzeitigen Situation entdeckte ich einige Artikel:
> Sehr gut ist nicht gut genug (SZ)
> Andrang an Universitäten
> Bester Abiturient ohne Studienplatz
> Rekordzahl von Studienanfängern
> Auswahltests an Unis - Es geht auch ohne Abi
So manchen Studienberuf könnte und sollte man vielleicht wieder zu einem Ausbildungsberuf machen. Und gleichzeitig Auswahltests an Unis einführen.
- Eben im Radio gehört: eine Satire zum Thema "Ehrgeiz".
Es passt zu diesem meiner Blogs am besten - mit dem Unterschied, dass dieser Prestige-Wahn immer früher anfängt. In den USA und in Japan entscheidet ja schon die Wahl des Kindergartens darüber, welche Schule einem die Tür offen hält und das wiederum entscheidet (gerade in diesen Zeiten der Arbeitslosigkeit und Niedriglohnarbeit) über die beruflichen Perspektiven. Kinder und Eltern sind teilweise enorm unter Druck gesetzt und bemühen sich schon vor dem Kindergarten um Förderung, um beim Vorstellungsgespräch im Kindergarten eine Chance zu haben. Wer braucht schon "Sozialismus wie in Europa"?^^
> SWR1 Erziehungsratgeber
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