Sonntag, 27. Januar 2013

Stille Nacht? - Tagebuch vom 23.12.2010

"...aber momentan fühle ich mich inmitten dieser hektisch rumwuselnden Menschenmassen äußerst unwohl. ..."
Das muss ich den Menschen als Beweis dafür zeigen, dass ich nicht verrückt und alleine bin, Menschen, die sich nicht trauen, unsere Gesellschaft negativ zu sehen. Immer wieder vergleiche ich etwas in unserer Welt mit dem Film Momo. 
 
Mich stören derzeit noch weitaus mehr Dinge an unserer Kultur.
- Die Überbevölkerung, die mancheiner nicht wahrhaben will.
- Die individuelle Übermotorisierung, die den stetig weiteren Ausbau von Autobahnen und anderen Verkehrsnetzen zwingend erforderlich macht und schon derzeit einen großen Teil an Staus und dichten Straßen verursacht.
- Die steigende Flexibilität und Mobilität, die von geistig Blinden als Vorteil und Fortschritt verkauft wird, obwohl es Rückschritt und Schwäche ist. Privat und beruflich soll man regional immer flexibler sein, was ein teueres Auto, teuren und endlichen Sprit und Platz erfordert. Aber auch das Begeben in den dicken Verkehr, der mich wegen der Übermacht an dummen oder aggressiven Fahrern manchmal den letzten Nerv raubt und bei Wintereinbruch die wahre Schwäche unserer Lebensform erst klar verdeutlicht.

Jetzt ist mal richtig Winter und vieles liegt lahm. Da zeigt sich erst unsere Abhängigkeit von all diesem "Fortschritt". Fällt ein Pfeiler unseres Lebensstandards aus (egal ob Strom, Internet, Verkehr, etc.), sind wir schon völlig aufgeschmissen. Wenn sich das heute so zuspitzt wie letzte Woche mit 40 Km Stau auf der A1, dann kann ich Weihnachten in meiner 40m²-Wohnung in dieser fernen Abgelegenheit alleine feiern. Ich muss ja Sonntag wieder zurück sein.


Es gab mal eine Zeit, in der diese Mobilität und multimediale Fernkommunikation schlicht und einfach nicht notwendig war. Da musste man nicht mehrere hundert Kilometer entfernt wohnen, weil man nämlich einen neuen Job noch irgendwo um der Ecke in der nächsten Straße finden konnte. Da musste man nicht zum Einkaufen in die nächste größere Stadt oder Shopping-Zentrum fahren, wie in den USA vorgemacht wurde (deswegen ist mein Heimatdorf und viele andere Kleinstädte von den ganzen leergefegten und verbarrikadierten Geschäften betroffen, die alle ins Zentrum abwanderten). Diese damalige Autarkie ist für mich immer ein Vorteil gewesen.
Alles Nötige zum Leben vor Ort und mit dem Fahrrad erreichbar. Kein hektischer Verkehr, in dem sich die Menschen am liebsten gegenseitig umbringen würden. Die Genervtheit wird doch immer schlimmer und fährt man schon bei Glätte am Limit kurz vor dem Ausbrechen des Hecks, kommt von hinten ein Kollege, der drängelt, bei nächster Gelegenheit überholt und den Motor dabei gezielt so laut aufdreht, als wolle er mit dem Lärm des Motorblocks deine Scheiben einschmettern.


Wir leben uns durch diese Zentralisierung, flexiblen Motorisierung und Überbevölkerung immer weiter auseinander, jeder lebt in der Masse und Wohlstand zunehmend isolierter, anonymer, ohne tieferen Bezug zu seinem sozialen Umfeld - ohne Empathie und Zusammenhalt. Alles nur oberflächlich. Gerade im Verkehr - unser Auto als zweites Zuhause - ist die Anonymität deutlich. Man sieht und spricht nur von "dem da vorne", bildet Klischees nach Autotyp und Fahrweise und kann nicht miteinander kommunizieren, was manchmal notwendig wäre, um Konflikte als eventuelle Unabsichtlichkeit zu klären oder ein Ventil zu haben, wenn jemand von hinten drängelt (als Vordermann kann man sich dagegen ja nicht wehren). Die Mitmenschen in unserer "zivilisierten" Welt sind nur mehr Hindernisse und Rivalen, die uns alle stören.Typisch dafür:

Auf dem Weg mit dem Auto zum Dortmunder Weihnachtsmarkt am Samstag-Abend erlebt man den blanken Nervenkrieg mit Genervtheit und Aggressionspotential beim Kampf um einen Platz in einer Tiefgarage. Aber dann auf dem Markt sind die selben Menschen auf mal in Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung, als hätten sie einen Schalter, den sie für ihre Stimmung und Gesinnung von "kurz vor dem Amoklauf und alle Verfluchen-Modus" auf "Liebe deinen Nächsten-Modus" umlegen können. Wenn sie das wirklich können, kann man sie dafür womöglich loben und respektieren. Ich für meinen Teil gehe da lieber meinen eigenen Weg mit weniger Widerständen, die einem die Weihnachtszeit vermiesen können.

Übrigens: Zu der Widersprüchlichkeit von dem, was man hier als "Fortschritt" bezeichnet, habe ich innerhalb des letzten Jahres eine kluge Essay gelesen. Ich weiß nur nicht mehr, wo ich sie finde. Wenn ich sie wiederfinde, bringe ich die auch noch hier rein.

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