Montag, 15. Februar 2016

Astronomische Expansionsvisionen

Neulich, als ich im Januar mit drei Freunden auf dem Nach-Weihnachtsmarkt meines Heimatdorfes schlenderte, unterhielten wir uns über eine Reportage, die der eine Freund auf N24 gesehen hat. Thema: Wie eine Expedition zu einem neuen Planeten gelingen könnte; wie das Raumschiff die Geschwindigkeit und Stabilität erreichen könnte, usw. Einige Wissenschaftler und wissenschaftlich Interessierte (auch die Freunde) gehen davon aus, dass es bei so vielen Universen mit Sicherheit irgendwo einen Planeten gibt, der für uns bewohnbare Bedingungen aufweist. Alles eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Logisch, denke ich auch - theorietisch jedenfalls.
Ich war dennoch irritiert von der Absurdität, Kurzsichtigkeit und Unvernunft dahinter. Was sollte ich dazu sagen, zu dieser glorreichen Vision? Unseren jetzigen Planeten gänzlich unreflektiert zu Ende aufbrauchen und dann einen neuen suchen als die einzige Option, die uns Menschen in den Sinn kommt? Es war wieder so eine Situation, in der ein Thema, das mit Nachhaltigkeit zu tun hat, in meinem Umfeld diskutiert wird und ich vor lauter Hintergrundwissen und Weisheit dazu einfach nicht wusste, wo ich anfangen soll. Zehn Jahre Bildung und Reflexion kann man nicht in einer Minute Gesprächszeit vermitteln. Darum dieser Text hier, als Ersatz.

Ökologie, biologisches Grundwissen und Verständnis vom Leben und der Natur allgemein fehlen meiner Meinung nach unserer ganzen materialistischen Gesellschaft immens. Darauf  wird nirgends Fokus gelegt. Darum schweife ich jetzt weit aus, um ein ansatzweises, minimales Bewusstsein dafür zu vermitteln, nur als eine Art Grundstein.
Ich denke, wir sind uns nicht ansatzweise bewusst, wie abhängig unsere ganze Gesellschaft von der Natur ist. Die Kultur (als Gegenstück zur Natur) kommt ohne Natur nicht aus, aber die Natur ohne uns. Wegen diesem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis sehe ich das bekannte Dreisäulenmodell auch eher als eine Pyramide: Umwelt/Natur/Ressourcen  -> Soziales  ->  Wirtschaft. Halten wir uns einmal in einem Gedankenexperiment vor Augen, was alles aus dem gegenwärtigen Umfeld oder generell aus dem alltäglichen Umfeld seinen Ursprung in der Natur hatte...

...drei Aspekte aus meiner Sicht zur der Expansions-Vision auf andere Planeten:

Aspekt 1: Der Aspekt der Ressourcen als Grundlage für unseren zivilisatorischen Wohlstand.
Von Steinen/Mineralen, (Atom-)Energie, Wasser und Metallen abgesehen sind oder waren einst alle anderen Ressourcen organischen Ursprungs. Sogar Erdöl und Erdgas. Sämtliche Lebensmittel sind tierischer oder pflanzlicher Natur. Auch Kaffee, Bier und Schokolade ("Rettet die Erde! Sie ist der einzige Planet mit Schokolade!")...  einfach alles. Sämtliche Kunststoffe aus Erdöl ebenso. (Es gibt da eine bekannte Doku, die ein Szenario mit dem Ende des Erdöls entwirft und zeigt, was alles im Alltag entfallen würde). Die alternativen Kunststoffe aus Nachwachsenden Rohstoffen (NawaRo) sind wiederum aus pflanzlichen Produkten. Holz und Papier sind so omnipräsent als Rohstoff, dass uns die Abhängigkeit und die nötige Ressourcenmenge gar nicht klar wird, die wir im Alltag benötigen. Sogar Dynamit hat Inhaltsstoffe, die von einer bestimmten Rotalgen-Art gewonnen wird. Unsere Kleidung meist aus Baumwolle, Daunen oder synthetischen  Materialen auf Erdöl-Basis. Egal in welcher Branche, welcher Rohstoff, ob im Büro, auf dem Bau, der Industrie, unserer Infrastruktur... es gibt Tausende Rohstoffe, dessen Menge unsere Vorstellungskraft bei dem Gedankenexperiment bei weitem übersteigt und von einem breiten Spektrum tierischer und pflanzlicher Arten abhängt. Auch die Alternativen sind entweder organisch (NawaRo) oder aus Erdöl (was ja auch einst tierischen und pflanzlichen Ursprungs war).

Daher frage ich mich als Ökologe: wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir einen Planeten mit Bedingungen vorfinden, bei denen wir nicht nur überleben können, sondern bei denen wir auch einen zumindest MINIMALEN zivilisatorischen, kulturellen Wohlstand halten können? Ein Planet wäre für mich dann bewohnbar, wenn atmosphärische Zusammensetzung, Strahlung, Schwerkraft und Klima unserem Toleranzbereich entsprechen. Wir benötigen eine Luft, die sich zu 78% aus Stickstoff, 21 % aus Sauerstoff und 1% aus Edelgasen zusammensetzt. Eine Abweichung von wenigen Prozent würde uns schon ersticken lassen. Ebenso beanspruchen wir eine terrestrische Solarkonstante von durchschnittlich 1367 W/m² (ca.). Weiterhin benötigen wir eine Gravitation von etwa 9,81 m/s², die für unsere Anatomie und Physiologie optimal ist. Dazu noch ein eträgliches Temperatur-Fenster, ausreichend Wasser (am besten Süßwasser), usw. Bei all diesen physikalischen Faktoren erscheint die Wahrscheinlichkeit, einen passenden Ersatzplaneten zu finden, schon deutlich geringer. Statistisch aber noch alles eher unkompliziert. Kommen wir nun zu dem ökologischen Aspekt.

1. Klasse Ökologie-Unterricht:
Auf unserem Planeten gibt es ... sehr viele Arten. Biologen weltweit können nur ansatzweise raten, wie viele Arten es gibt. In den Vorlesungen des Bio-Grundstudiums wurden uns Zahlen gezeigt.
Exakte Schätzungen liegen derzeit bei 8,7 Millionen Arten. Tatsächlich schwankt das Vorstellbare irgendwo zwischen 3 und 100 Millionen. Mehrere Tausend davon werden bereits für uns kulturell genutzt und vielleicht kommen noch neue dazu, die noch einen Nutzen spielen werden/können. Alle Arten haben einen gewissen Toleranzbereich - einmal einen Grundsatz verinnerlichen: Minimumgesetz.  Dieses Minimummodell findet man auch in der Psyche des Menschen. Geld allein macht nachweislich auch nicht glücklich. Von allen essentiellen Ressourcen, egal ob energetisch, materiell oder seelisch, muss ein Minimum erfüllt sein. Wobei in der Ökologie ein Maximum auch nicht überschritten werden darf. Manche Arten sind toleranter (euryöker = breiteres Optimumfenster), andere sind intoleranter (stenöker = schmaleres Optimumfenster). Die Ökologie ist viel zu komplex und multikausal, als dass präzise Forschungsergebnisse geliefert werden können (ganz im Gegensatz zur Physik). Liest man sich ökologische Studien (oder meine Bachelorarbeit) durch, wird einem Bewusst, wie speziell die Umgebungsbedingungen sein müssen, damit mehrere Arten über lange Zeit stabilen Bestand haben können. Da seien Temperatur, Mikroklima, Luftfeuchte, diverse Nährstoffgehalte (Mikro- und Makro-Nährelemente), Bodenart- und Bodenstruktur, Wasserqualität, physikalische Einflüsse, Licht (Dauer und Intensität), Konkurrenzbedingungen, Räuber, Symbiosepartner, Luft und vieles mehr. Minimale Abweichungen in einem der Faktoren hat eventuell schon unvorhersehbaren Einfluss (Black-Box-Prinzip).

Da Biosphäre, Pedosphäre, Hydrosphäre, Amtosphäre und sogar die Litoshpähre in einem energetischen und stofflichen Fließgleichgewicht stehen, genügt das Importieren unserer Arten (genetische Arche Noah) also nicht. Zumal gerade für die Entsteheung der Pedosphäre Leben notwendig ist. Fruchtbare Böden bestehen nämlich aus viel Humus und Huminstoffe, die aus toten Tieren und Pflanzen entstehen. Und nicht nur das.  Für landwirtchaftlich ertragreichen Anbau sollten die Böden unter anderem noch ein bestimmtes C/N-Verhältnis haben (je nach Art zwischen 1:10 bis 1:100), eine bestimmte Korngröße/-textur, mineralische Zusammensetzung, etc. pp. So ein unvorstellbar komplexes Kompartiment entsteht nur über Millionen von Jahren. Düngen schön und gut, aber einige physikalische Parameter wie Bodenverdichtung kriegt man auch auf der Erde nur über Jahrzehnte bis Jahrhunderte im kleinsten Maßstab in den Griff. WENN wir jemals einen Planeten finden, der etwas wie nutzbare Böden und obendrein noch etwas wie Pflanzen beherbergt, werden es wohl kaum die uns genauestens bekannten Arten sein. Wir würden Jahrhunderte an Forschung brauchen, um erneut von den neuen Rohstoffen zu etwas wie Food-Engeneering, Geschmacksstoffe, Farbstoffe, Konservierungsstoffe, functional foods, Fertiggerichten, etc. zu kommen.

Und damit zurück zur Frage: Welcher Planet beherbergt wohl eine derart unvorstellbare Artenvielfalt von Millionen von Arten - am besten noch genau die Arten, die wir bisher genutzt haben in der exakten quantitativen wie qualitativen Artenzusammensetzung? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir einen Planeten finden, der wie unsere Erde (dem "blauen Paradies im Universum") zumindest die gleichen physikalischen, chemischen und ökologischen Bedingungen liefert, um unser Leben zu ermöglichen? Ich kann nur grob raten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass wir so einen Planeten finden:  1:10^50 oder noch viel geringer? .... wer kann das schon sagen?

Aspekt 2: Die Umweltpsychologie. Sie ist eher ein Randaspekt, auch beim Umweltschutz. Sollte aber dennoch nicht unterschätzt werden. Unsere innere Psyche, Biorhythmus (u.A. die circadiane Rhythmik), Instinkte  und Hormonhaushalt sind an diesen Planeten angepasst. Das Leben in Großstädten führt z.B. zu mehr Stress und Depressionen und Autoimmunerkrankungen als auf dem Land. Nicht nur der Hektik wegen, auch der Umweltpsyche wegen. Also wie sich das natürliche Umfeld auf das Empfinden und Unterbewusstsein auswirkt (optische und akustische Reize, Farben, Formen, Dichte, Individualdistanz, etc.). Wie würden wir auf einem anderen Planeten klarkommen, so auf lange Sicht? Anpassung oder Rückentwicklung?

Aspekt 3: Das Finanzielle und Organisatorische. Das ist der unbedeutendste Aspekt, mit dem sich Ökonomen auseinandersetzen. Dieser Aspekt ist sicherlich der einfachste in seiner Problematik. Die Doku wird sicher schon ausgerechnet haben, was so ein Raumschiff kostet und ob und wie praxistauglich es ist, wie viele Menschen an Board passen. Wie stellen sich die von dieser Expansions-Vision Ergriffenen das Szenario vor? Sollen alle 7-8 Milliarden oder in der Zeit der Durchführung alle 50 Milliarden Menschen auf einen vermeintlich passenden Planeten umziehen? Kriegen wir genügend Ressourcen auf alle Schiffe für eine so lange Reise?
Wer kommt überhaupt auf so eine absurde Idee, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen???

Schlussfolgerung:
Wäre die Zeit und zerebrale Anstrengung nicht wesentlich vernünftiger investiert, wenn man darüber nachdachte, wie wir uns ein Leben auf diesem einzigartigen Planeten auch in Zukunft nachhaltig ermöglichen? Auf einem Planeten, der uns vermutlich als einzigen auffindbaren Planeten in allen Galaxien unseren jetzigen Wohlstand ermöglicht?
Wer sich nur mit Physik oder Ökonomie beschäftigt, dürfte alsbald einer Deformation Professionale verfallen. Und sich eher dazu hinreissen lassen, solch Hollywood-typische Szenarien als Alternative für die Zukunft der Menschheit in Betracht zu ziehen - ohne all die interdisziplinären Komplikationen, die ich oben grob anriss, zu bedenken. Mir erscheint es um ein Milliardenfaches wahrscheinlicher, einfacher, günstiger und unkomplizierter, wenn wir Alternativen zu wirtschaften und zu leben finden, die uns Nachhaltigkeit ermöglichen - ergo die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft auf diesem Planeten. Die Lösung kann daher nicht in unendlichem Wachstum liegen, da der Planet nicht unendlich ist. Sondern in Gleichgewicht. Gleichgewicht ist in allen Themen die Antwort auf alle Frage, nicht 42! Bevor wir einen neuen Planeten suchen, sollten wir erstmal lernen, mit dem Verfügbaren nachhaltig zu wirtschaften, d.h. nur so viel/schnell die Ressourcen zu verbrauchen, wie sie nachwachsen. Denn sonst stoßen wir auch auf einem zweiten Planeten irgendwann an Grenzen, selbst wenn wir die Erde als Ressourcen-Planet zusätzlich bewirtschaften. Wirtschaftliches Wachstum geht nämlich immer auch mit regionalem Expandieren einher.

Es soll noch immer Hardliner-Ökonomen (unter der FDP oder den US-Republikanern) geben, die an unendliches Wachstum glauben. Die Erde hat eine Fläche von 510.100.000 km², davon 149.400.000 km² Landfläche, wovon wiederum nur ein geringer Teil kulturell anbaubar ist. Das ist weit entfernt von unendlich. Die Ertragssteigerung biologischer Ressourcen ist auch physiologisch und physikalisch begrenzt. Ebenso ökologisch/geographisch (nicht alle Böden eignen sich zum Anbau bestimmter Nutzpflanzen). Und nicht zuletzt stoßen wir auf politische Grenzen. Schon jetzt stehen sehr viele Flächen weltweit in Konkurrenz. Beispiel: Futterpflanzen oder Biosprit-Pflanzen? 10 km² für Mastfutter  oder 1 km² für Gemüseanbau? Flüchtlingsheime oder Studentenwohnheime?
Wenn die Weltbevölkerung UND der quantitative, materielle Wohlstand weiter wächst, erleben wir diese Grenzen zunehmend. Die Weltmeere sind z.B. schon jetzt so stark überfischt, dass ich aus wissenschaftlichen Quellen sagen kann, dass wir alle noch miterleben werden, wie Fisch in Supermärkten zur Mangelware wird. Auf diese Voraussage könnt ihr mich gerne festnageln, versprochen ;-).
Ein Gast-Professor an der TU-Darmstadt hielt zu diesem Thema das Statement: "Wenn Sie in Zukunft gewinnbringend ihr Geld anlegen wollen, tun Sie es in Flächen!" Unweigerlich JEDES Wachstum stößt in einem begrenzten System/Raum an Grenzen, egal ob ökonomisch, soziologisch, physikalisch oder biologisch.

Über all das hier so ausführlich zu schreiben erscheint mir lächerlich unnötig. Und doch zeigt sich, dass viele junge Leute solche Szenarien als ernstgemeinte Alternative in Betracht ziehen. Es ist schon denkwürdig, dass sich viele junge Männer ein Leben ohne Sauerstoff produzierende Pflanzen, Erdöl und teilweise sogar ohne Umwelt vorstellen können, aber nicht ohne WiFi, Titten und Fleisch (kulturelles Symbol für Männlichkeit - wieso auch immer). Wenn etwas auf diesem Planeten keine Wachstumsgrenzen besitzt, dann wohl die Naivität der Menschen.

Fazit (Bild 1 gestern auf Facebook entdeckt):


2 Kommentare:

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  2. Gestern Abend kam die selbe Doku noch mal auf N24 (dem Schund-Doku-Sender). Es meldeten sich Science-Fiction-Autoren und apocalyptische Weltuntergangspropheten zu Wort. Mit haarsträubenden und völlig unwissenschaftlichen Argumenten und der Vorhersage, dass ein Neutronenstern in 75 Jahren die Erde zerstören wird. Nach dem in letzter Zeit auch öfter auch Dokus über Alieninvasionen und dem Yeti kamen (Zitat: "Da hat irgend jemand einen Stein aus dem Gebüsch auf uns geworfen. Aus solch einer Entfernung konnte das kein Mensch gewesen sein!" -> folglich gibt es den Yeti!), weiß ich jetzt, dass ein Nachrichtensender nicht immer Seriöses und Wissenschaftliches ausstrahlen muss. Oh, und über Zeitreisen kam auch eine Doku! Dem widmete ich in einem der hier folgenden Artikel bereits einen eigenen Eintrag.

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